Wann entdeckt die Politik LinkedIn?
Politiker fordern gern Umdenken und mehr Veränderung. Könnten sie selbst mal. Zum Beispiel in ihrer Kommunikation – bzw. der Wahl der Kommunikationskanäle. Mehr Business Netzwerke und Social Media statt nur klassischer Medien. Der Start von Altbundeskanzler Gerhard Schröder auf LinkedIn ist deshalb bemerkenswert.
Egal ob nun Globalisierung, Digitalisierung oder jetzt die Corona-Krise: Zur Königsdisziplin der Politik gehört zweifelsfrei, Menschen auf Veränderungen einzustimmen. Ein solcher – in der Regel ja eher schmerzhafter – Prozess kommt natürlich immer in einem betont flauschigen Gewand daher – Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit, Fairness und so weiter. Kennt man ja. Aber darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Der Punkt ist: In ihrer eigenen Kommunikation zeigen sich Spitzenpolitiker in der Regel erstaunlich resistent gegenüber Veränderungen. Themensetting – das passiert überwiegend immer noch über die großen meinungsbildenden klassischen Medien: die überregionalen Tageszeitungen, Spiegel und die bekannten Talkshows, die ihrerseits wieder zitiert werden. Hauptsache, es liegt etwas gedruckt in der Pressemappe.
Dabei weiß natürlich jeder: die großen meinungsbildenden Medien? Das war einmal. Bekanntlich rauschen Reichweiten und Auflagenzahlen seit Jahren in den Keller. Titel wie Focus und Welt verzeichnen allein im Vorjahresvergleich ein zweistelliges Minus, die Bild rutscht daran (- 9,1 Prozent) nur knapp vorbei. Irrelevant sind sie deshalb noch nicht geworden. Weil der altbekannte Zitiermechanismus (in weiten Teilen) ja durchaus noch funktioniert. Aber die Frage nach Alternativen und neuen Mechaniken, Themen zu setzen, ungefiltert Feedback einzuholen, stellt sich angesichts dieser Entwicklung natürlich schon. Ein bisschen mehr Lust und Mut, hier neues auszuprobieren, wäre also nicht verkehrt. Also genau jener positive Entdeckergeist, den Politiker ja so gerne bei uns wecken wollen.
LinkedIn-Premiere von Altbundeskanzler Gerhard Schröder
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet Altbundeskanzler Gerhard Schröder einen solchen neuen Weg in der Kommunikation einschlägt. Jener SPD-Spitzenpolitiker, der ja noch zu Amtszeiten sagte, zum Regieren brauche es wesentlich nur Bild, BamS und Glotze. Seit dieser Woche nutzt er das Business-Netzwerk LinkedIn zum Agenda-Setting. In Deutschland ist das zwar nicht einmalig, aber immer noch vergleichsweise ungewöhnlich. Bis auf Saskia Esken und Christian Lindner ist kein deutscher Spitzenpolitiker auf der Plattform vertreten. Man fragt sich: Warum eigentlich nicht? Längst hat sich LinkedIn aus dem engen Korsett des Job-Netzwerkes befreit. Eine weltweit verteilte Redaktion kuratiert Artikel zu Themen wie Corona, EZB-Anleihenkäufen oder Verkehrswende. Wohl kaum ein anderes Netzwerk bietet die Möglichkeit für einen Gedankenaustausch in einem vorwiegend sachlichen Kontext. Und das vielfach direkt mit Multiplikatoren.
International ist die Plattform dafür längst gesetzt. Spitzenpolitiker erzielen hierüber inzwischen höchste Reichweiten. Kontinuierlich und mit viel Engagement haben sie sich – bzw. ihre Teams – Communitys aufgebaut. Emanuel Macron beispielsweise kommt auf über 1,7 Millionen Follower, Narendra Modi auf über 3,4 Millionen und Justin Trudeau sogar auf über 4,2 Millionen, die ihm folgen. Auch Österreich ist uns einen Schritt voraus. Sebastian Kurz vereint über 33.000 Follower hinter sich Einzelne Beiträge von ihm rufen rund 1.000 Reaktionen – in der Regel Likes – und über 120 Kommentare hervor. Ganz anders in Deutschland: Die SPD hat auf LinkedIn noch nicht einmal einen eigenen Account. Und das, obwohl die Partei ja mit Saskia Esken nach eigenem Ermessen eine ausgewiesene Digital-Expertin mit an der Spitze hat. Eine bisschen mehr Veränderungswillen in der Kommunikation mit den Menschen – also den (potenziellen) Wählen – täte also vielleicht auch in Deutschland nicht schlecht.