Diese Woche fanden in München die 32. Medientage statt. Für mich persönlich war es mindestens die 25. Ausgabe, die ich gerne und voller Motivation angegangen bin. Bei der Anfahrt mit dem eigenen PKW strandete man allerdings gleich mal auf einem geschotterten Außenparkplatz der Messe. Und dieser erste atmosphärische Eindruck setzte sich leider fort: Der Umzug innerhalb der Messe München ist den Medientagen  nicht wirklich gut bekommen.
Ja, die neue Halle ist hell, aber wenn in der Main Stage das Pfeifen des Windes (die Windstärke konnte ich nicht exakt bestimmmen und Jörg Kachelmann war nicht vor Ort) die Speaker überlagert, dann ist das ärgerlich. Das „alte“ ICM mag in die Jahre gekommen sein, aber was Flaggen, Flair und Entree betrifft, kann die neue Halle bei weitem nicht mithalten. Und ja, man merkt, dass das neue Orga-Team der Medientage vieles anders gemacht hat und dabei viele alten Zöpfe abgeschnitten hat. Statt Elefantenrunde gabs beispielsweise am allerersten Vormittag lockeren TV-Studio ähnlichen Smalltalk mit Klaas Heufer-Umlauf – mit deutlich mehr Dynamik, weil alle 20 Minuten die Speaker wechselten.  Und ja, es gab ein gutes Programm und auch deutlich mehr internationale Referenten. Die mussten aber leider allzu häufig vor leeren Sitzen performen.

Die neue „Main Stage“ der Medientage: Wo früher Medien-Elefanten Konzernsprech trompeteten, verdüsterte diesmal Keynote-Speaker Andrew Keen die Gemüter

Mein persönliches Highlight im Kongress war der Vortrag von Wiwo-Herausgeberin Miriam Meckel, die sich mit Brainhacking beschäftigte und – anders als der Keynote Speaker Andrew Keen – der digitalen Zukunft durchaus Positives abgewinnen kann: „Wir haben unser Telefon ans Internet angeschlossen, unseren Computer, unser Auto, das Buch, unsere Kühlschränke und Lichtanlagen, unsere Hörgeräte und Kontaktlinsen. Es gibt kein Argument, warum wir nicht unseren Kopf an das Internet anschliessen sollten.“    
Allzu viele inhaltliche Würdigungen der neuen Medientage gibt es derzeit – Stand Freitag 26.10. – 14:30 Uhr – noch nicht. meedia spricht von einer „vertanen Chance für einen Neustart“ (Nachtrag: Auch Horizont wertet den Event als „mauen Relaunch“). w&v sieht die Medientage „so attraktiv wie schon lange nicht mehr„. Zwischen diesen menschlichen Beurteilungen liegt nun eine ganz erhebliche Spanne, die man heute noch persönliche Meinung nennt. In Zukunft, also vielleicht schon bei den Medientagen 2025, wird die KI aber – unterstützt von Drohnen, Sensoren, Trackern – ein wesentlich umfassenderes, weil datengestützes Bild auch von Veranstaltungen zeichnen.  Vielleicht war 2018 unter diesen Vorzeichen ja eher ein Neustart mit Anlaufschwierigkeiten. 
Wilder Westen in Bayerns Süden: Auf dem Mediencampus Bayern herrschte Saloon-Atmosphäre.

Erinnern Sie sich noch an Edmund Stoiber, den ehemaligen Ministerpräsidenten des weißblauen Freistaats? Das war der Ex-Staatskanzleichef von Franz-Josef Strauss. Bei dem hatte er unter anderem gelernt, dass Medien und Medienpolitik nicht ganz unwichtig sind – Spieglein, Spieglein an der Wand….Deswegen machte der spätere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die Medientage zur Chefsache und nutzte sie als Plattform und zentrale Veranstaltung rege und häufig für medienpolitische Botschaften und intensives Networking. Ganz anders übrigens als heute Horst Seehofer, dem die Medientage schnurz sind und der meist Wirtschafts- und Medienministerin Ilse Aigner als Vertretung schickt – oder jemanden noch weiter unten in der bayerischen Regierungshierarchie. In der Stoiberschen Phase waren die Medientage Schauplatz für die unendlichen (manchmal auch unendlich langweiligen) Duelle zwischen Vertretern von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. VPRT-Ritter Jürgen Dötz gegen wechselnde Intendanten von ARD, ZDF und BR. Wesentlich mehr Unterhaltungswert hatten die Medientage in den 90ern, wenn die Privat-TV-Urgesteine Helmut Thoma (damals RTL) und Georg Kofler (damals ProSieben) direkt aufeinandertrafen. Bei der Wortschlacht zwischen Österreicher und Südtiroler war die Pointendichte deutlich höher als dieses Jahr beim erstmals als Moderator verpflichteten Thomas Gottschalk. Gelegentlich schalteten sich in das intramediale Rededuell auch noch die Verleger ein, die um ihre Pfründe fürchteten.

Show-Urgestein statt Elefantenrunde: Thomas Gottschalk führte am ersten Vormittag der Medientage 2015 durch das Programm
Show-Urgestein statt Elefantenrunde: Thomas Gottschalk führte am ersten Vormittag der Medientage 2015 durch das Programm

Lange Jahre ging das gut. Auch für die meisten Mediengattungen, die zwar auf den Medientagen immer wieder über diverse Benachteiligungen klagten, aber eigentlich noch gut verdienten. Dann kam das Internet. Am Anfang langsam, später mit Macht, aber so richtig Ernst nahmen das nur wenige Vertreter der Medienzunft (Hubert Burda vorneweg), zumal 2001 die Internetblase platzte und die Skeptiker zu bestätigen schien. Doch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mussten manche Medien lernen, dass Wachstum kein Grundgesetz und Werbeeinnahmen keine Selbstverständlichkeit sind. Da wurde auf den Medientagen mit Vorliebe und jahrelang ein Trauerspiel aufgeführt: „Die Leiden der alten Medien“ – verursacht durch „dieses Internet“. So mancher Regionalzeitungsverleger ging ab anno 2005 mit einem spöttischen Lächeln aus Vorträgen zu Online-Themen, um dann mit einem befreundeten Verleger über diese Jungspunde zu lästern, die keine Ahnung vom Geschäft hätten. Leider machten sie ihm da gerade mit Online-Plattformen sein Kleinanzeigengeschäft abspenstig.
In dieser Zeit waren die Medientage für viele Onliner zu altbacken, für Medienvertreter der alten Generation zu abgehoben und visionär, für Medienpolitiker nicht mehr die alte Glamour-Plattform  und für andere weder Fisch noch Fleisch. Im Lauf der Zeit des ersten Jahrzehnts wurde die OMD und spätere dmexco als zentrale Veranstaltung für Online/Digitalmarketing groß und kleinere, spezialisiertere Veranstaltungen besetzten erfolgreich Wachstums- und Nischenthemen, die auf Elefantenrunden nicht spannend und kontrovers genug diskutiert werden konnten oder wollten.  In dieser Zeit verlor übrigens auch das Medienforum NRW als zweite große Medienveranstaltung jegliche Präsenzpflicht.
In einer Periode, in der die GAFA begann, die Medienindustrie zu global dominieren, wirkten die Scharmützel zwischen deutschen Verlegern und Sendern sowie der Sender untereinander  (im übrigen auch so manche Debatte zur nationalen Medienkonzentration) wie Relikte aus einer fernen Galaxie (aus einem anderen Jahrtausend sind sie übrigens auch). Mit dem Quartalsgewinn von Google ließen sich ganze nationale Medienimperien aufkaufen. Nur vonnöten ist das nicht mehr, da Google bereits jetzt eine ganz andere Dominanz ausüben kann.
Die Herausforderer für deutsche Medienunternehmen spielen heute international. Netflix, YouTube oder Facebook Instant Articles bestimmen die Diskussionen und redaktionelle Inhalte heißen Content – auch auf den Medientagen. Aus der Phase der German Medienunternehmer-Angst sind viele Unternehmen mittlerweile raus, stattdessen domniert zunehmend der Wille zur Mitgestaltung. Und auch die Medientage selbst scheinen ihre Bestimmung neu gefunden. Als zentrale Veranstaltung, auf denen die Medienbranche – und ihr anverwandte Segmente – die Zukunft ihrer Geschäftsmodelle ernsthaft debattiert, in Frage stellt und vielleicht auch neue Allianzen knüpft. Aus den Medientagen sind die Medientransformationstage geworden. Eine Positionierung, die auch die nächsten Jahre tragen sollte und mit der die Medientage neben der dmexco, der RePublica oder der Internet World ihren Platz haben. Und ob dann 25 Prozent Frauen auf den Medientage-Podien sitzen oder 15 oder 50, wird wahrscheinlich nicht Sissi Pitzer entscheiden, sondern der Arbeitsmarkt. Die Keynote von Wirtschaftswoche-Chefredakteurin Miriam Meckel war jedenfalls wesentlich gehaltvoller als der Content, den Thomas Gottschalk auf den Medientagen 2015 beisteuerte. Außerdem hat gerade Microsoft in Deutschland erstmals eine Chefin bekommen. Wenn das kein Signal ist. Könnte sein, dass die Medien ihre Tage bekommen.
P.S.: Der Autor hat etwa 25 Medientage hinter sich – vielleicht auch seine besten 😉