Sind wir nicht alle Social Müdia?

Blog

 

Sind wir nicht alle Social Müdia?

Social MüdiaFoursquare habe ich gelöscht, weil mir der Job als Major meines Lieblingscafes nichts einbrachte. Die spannende Infografik auf Pinterest habe ich verpasst, weil ich vor Wochen zuletzt eingeloggt war. Ich habe keine Ahnung, wo mein Klout-Score steht, für Instagram habe ich mich gar nicht erst angemeldet. Und das letzte Quizzduell liegt Wochen zurück. Geblieben sind in meinem persönlichen Social Media-Portfolio dauerhaft nur Facebook, YouTube, Google+ (in Maßen) und Twitter (immer aufs Neue spannend). Bin ich als PR- und Social Media Professional ein (bedauernswerter) Einzelfall, der die neuesten Trends verschläft? Oder gibt es unter den „normalen“, also nicht nur beruflich mit Social Media befassten Menschen, ein paar mehr, denen es ähnlich geht wie mir? Sind wir nicht alle ein bißchen Social Müdia?
Interaktionsraten schwinden, Sharing geht zurück
Um es vorwegzunehmen: Es gibt Zahlen, die das ungebrochene Wachstum von Social Media belegen. Das sind meist vor allem Angaben zu absoluten Nutzerzahlen. Und es gibt Daten, die eher in Richtung „Social Müdia“ deuten. Ein paar Beispiele:
Von den derzeit existierenden 947 Millionen Twitter-Accounts weltweit haben 44 Prozent bisher keinen einzigen Tweet verschickt. Nur 13 Prozent der Accounts haben mehr als 100 Tweets verfasst, so eine Untersuchung aus USA. Netzökonom Holger Schmidt meldete vor kurzem für den deutschsprachigen Bereich, „dass etwa 70 bis 80 Prozent der Menschen, die sich bei Twitter anmelden, im Laufe der Zeit wieder abspringen. Nur etwa drei Prozent der Menschen, die sich jemals bei Twitter im deutschsprachigen Raum angemeldet haben, sind heute noch täglich als Schreiber aktiv.“
Die Interaktionsrate bei Facebook liegt derzeit, je nach Typ des Posts, zwischen 0,11 Prozent (Link) und 0,25 Prozent(Foto). Angesichts der Tatsache, dass Facebook die organische Reichweite vieler Marken-Fanpages bewusst runterfährt, bedeutet dass: Die absolute Zahl der Interaktionen auf Facebook wird abnehmen, sofern die Marke nicht massiv mit Facebook Ads gegensteuert. Bei einer Page mit 100.000 Likes (wo vielleicht noch 3.000 bis 4.000 Fans den Post zu Gesicht bekommen) bleiben vielleicht zwischen 4 und 8 Interaktionen pro Post. Fanpage Karma hat gerade errechnet, dass 41 Prozent der deutschen Seiten mehr als die Hälfte ihrer Reichweite verloren haben. Schon heute müssen die Facebook-Experten also ordentlich trommeln, um ein nennenswertes Engagement zu erreichen, das über den harten Kern der Fans hinausgeht.

Quelle: Fanpage Karma
Quelle: Fanpage Karma

Nutzer teilen Videos seltener: Die durchschnittliche Sharing Rate aller Clips (der Prozentanteil der Menschen, die einen Clip anschauten und dann teilten) ging im zurückliegenden Quartal von 2,9 auf 2,6 Prozent zurück, haben die Social Video-Experten von Unruly in einer aktuellen Erhebung vom April 2014 herausgefunden.
Zum Schluß noch ein, nicht durch repräsentative Zahlen belegbares persönliches Gefühl: Immer mehr Crowdfunding-Projekte scheitern beim Sammeln von Geldern. Es gibt anscheinend schon zu viele Projekte, die Geld vom Netz wollen – ohne eine Rendite zu versprechen.
Woher kommt die neue Zurückhaltung in sozialen Netzwerken? Meine Vermutung: die gestiegene Medienkompetenz und das Überangebot. Zugespitzt gesagt: Der User muss nicht überall mehr dabei sein. Und wenn er in ein neues Angebot hineinschnuppert, entscheidet er sehr schnell, ob er dafür zusätzliches Zeitbudget zur Verfügung stellt oder dafür etwas anderes aufgibt. Außerdem kann er/sie mittlerweile relativ gut entscheiden, welchen Mehrwert ein neues Netzwerk liefert. Und der Aufstieg von WhatsApp& Co. mit 31 Mio. Nutzern in Deutschland belegt, dass nach dem Peer-Posing à la Facebook und Twitter nun wieder der persönliche Dialog stärker gefragt ist. Social Media ist – das haben alle Altersgruppen im Netz mittlerweile gelernt – auch ein Zeitkiller, der zudem mit anderen Tätigkeiten im Wettbewerb steht.
Möglich wurde die Social-Euphorie vor allem durch die Smartphones, mit denen man die Angebote in neuen Situationen (beim Essen, beim Warten, auf der Toilette u.a.) und an neuen Orten (in der Arbeit, im Verkehrsmittel u.a.) nutzen kann. Rund 150 mal am Tag innerhalb eines Tages checkt ein Nutzer sein Smartphone, so zitiert der Mobile-Experte Tomi Ahonen eine AT&T-Untersuchung vom Mai 2013. Auf 60 bis 80 mal täglich kommt eine aktuelle, repräsentative Studie unter deutschen Smartphone-Nutzern. Weil das Angebot an Social Apps aber ausufert und der Tag endlich ist, steigt nicht nur die Zahl der Unfälle mit Laternenmasten in Fußgängerzonen. Durch die häufige Parallelnutzung wird auch die Reizschwelle, um mobil überhaupt noch Aufmerksamkeit zu bekommen, nach oben verschoben.
Was bedeutet das Social Müdia-Phänomen für Social Media-Verantwortliche in Agenturen oder Unternehmen, die als Interaktions-Animateure für Engagement sorgen sollen? Meines Erachtens wird es künftig wesentlich schwerer und teurer, Menschen in sozialen Netzwerken zu erreichen und zum Mitmachen zu aktivieren. Deswegen werden Aktionen zunehmend durch Social Advertising flankiert. Das widerspricht eigentlich dem viralen Gedanken, rettet kurzfristig aber die KPIs, die man als Fanpage-Verantwortlicher dem Management in Aussicht gestellt hat. Und es verbessert massiv die Bilanz von Facebook. Langfristig helfen aber nur außergewöhnliche Inhalte und Ideen, die sich so deutlich vom Social-Mainstream unterscheiden, dass sie ohne große Anschubfinanzierung zum Viral-Hit werden. Wenn das mal keine Herausforderung für die kommenden Monate ist.
P.S.: Diesen Artikel habe ich für die Kollegen von www.lead-digital.de verfasst. Dort wurde er innerhalb von gut vier Stunden 950 mal geteilt. Entweder lag ich mit meiner These nicht ganz so falsch oder die Crowd hat durch das rege Sharen mich ad absurdum geführt. Bitte selbst entscheiden.
 

Schreibe einen Kommentar